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Baden im Erdöl in Naftalan - Aserbaidschan

  • von Alicia
  • 02 Juni, 2019

Es ist Januar. Kalter Januar. Ein bisschen zu kalt, um in einem kleinen Campervan zu leben. Wir sitzen mit unseren dicken Wanderschuhen, die vergeblich versuchen unsere Füße zu wärmen, im Scudo und überlegen die nächsten Reiseschritte. Die Luft in der oberen Hälfte im Scudo ist dank unserer Standheizung warm, aber auch im ständigen Kampf mit uns um den Sauerstoff. Die untere Hälfte, die gefühlt zu 30 % von unseren dicken Schuhen eingenommen wird, will einfach nicht warm werden. Hach, ein bisschen Wellness und richtige Entspannung wäre in diesen kalten Tagen ganz schön.

Da gab es doch dieses Erdölbad hier in Aserbaidschan. In Naftalan, einem Kurort, mehr noch, einer DER Wellnessoasen der Sowjetzeit. Wir hatten das mal irgendwo im Zuge unserer Reise nach Aserbaidschan recherchiert, aber (vorerst) nicht weiter berücksichtigt. „Vorerst“ hatten wir ja noch mit vielen Erledigungen und bürokratischen Angelegenheiten in Aserbaidschan zu kämpfen. Die Zeit für Wellness ist nun aber gekommen, so fühle ich an meinen Eisklumpenfüßen.

Wie immer machen wir die Realisierung jeder Aktivität, so auch das Erdölbad, davon abhängig, wie kostspielig sie im Verhältnis zu unserem Interesse ist. Fazit der ersten, groben Preisrecherche: „Zu teuer…!“ Tim hat bereits mit der Idee abgeschlossen, meine Füße werden immer eisiger. Ich froste, nein forste mich eingehender durch das Internet, bis ich über eine Buchungsplattform für Unterkünfte das billigste Resort in Naftalan finde, welches das Erdölbad anbietet. So richtig wissen wir gar nicht, was uns bei diesem Bad erwartet, aber es lockt das Wort Wellness-Resort und die Tatsache, dass es auch noch Vollpension inklusive gibt. Spätestens damit ziehe ich Tim wieder auf meine Seite. Es ist wirklich spottbillig und mit praktischen Empfehlungscodes können wir sogar noch einiges einsparen. Gebucht!

Die Aufregung steigt ein wenig, als wir auf den Parkplatz des Gebäudes fahren. Ich war zwar noch nie in einem Wellness-Resort, aber eine Vorstellung davon, wie das aussehen muss, hatte ich schon. Und diese Vorstellung verpufft gerade, als ich dieses Gebäude sehe, das mehr der Beschreibung einer Psychiatrie für Privatpatienten mit klassischem Ost- und Westflügel aus Fitzeks Thriller-Romanen gleichkommt. Noch bevor wir das Gebäude betreten, fällt der Groschen: Ein Wellness-Resort aus Zeiten der Sowjetunion – mehrere Resorts wurden zu dieser Zeit als Erholungsanlage in Naftalan errichtet – ist nichts anderes als ein klassisches Sanatorium, eine Heilanstalt wie man es früher nannte. So sieht es tatsächlich aus. Wir haben uns also zwei Tage Erholung in einer postsowjetischen Heilanstalt gebucht.

Als wir eintreten, erwartet man uns schon. Wir sind ca. vier Stunden später da als angekündigt (die Verspätung liegt an Scudos Schäden, die er zu diesem Zeitpunkt hat). Man schickt uns zur Anmeldung. Es ist kalt, die Eingangshalle ist mit rotem Teppich ausgelegt und vor uns erstreckt sich eine breite Treppe, als würde gleich eine Cinderella hinabtänzeln. Links und rechts geht es zu den entsprechenden Flügeln des Gebäudes, die jedoch weder beleuchtet noch belebt sind. Wir müssen ohnehin erstmal die Cinderellatreppe hinaufsteigen, um uns anzumelden. An der Anmeldung gibt es einen kleinen Heizstrahler. Zeit zum Auswärmen ist jedoch nicht. Wir werden von einer organisierenden Person sofort in das Zimmer der Ärztin gebeten. Eine ältere Dame in weißem Kittel sitzt an ihrem alten, nussbaumbraunen Schreibtisch, auf dem irgendwelche alten, medizinisch aussehenden Dinge liegen. Wir kriegen ein Kurheftchen und ich soll anfangen zu erzählen – mit Google Übersetzer wohlbemerkt, denn ich kann weder Aserbaidschanisch oder Russisch noch kann die Ärztin und unser Resort-Manager Englisch. „Welche Beschwerden haben Sie?“ Tim und ich schauen uns an und überlegen. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Wir bekommen hier tatsächlich richtige Heilung angeboten. Ich zähle auf, was mir an Beschwerden einfällt und erhalte daraufhin eine entsprechende Physiotherapie in mein Heftchen verpasst. „Wünschen Sie auch eine intravenöse Behandlung?“ – „Nein, danke.“ Ab einem gewissen Maß hört mein Vertrauen auf – vor allem, wenn es um medizinische, unnötige Belange im Ausland geht. Abschließend wird mir noch der Blutdruck gemessen. Ärmel hoch, dieses Ding um den Oberarm, dann wird gepumpt und mit der Stoppuhr meine Pulsschläge gemessen. Es scheint alles noch immer im Rahmen zu sein. Als Nächstes ist Tim dran. Er macht es sich leicht und erzählt, dass er die gleichen Beschwerden habe wie ich und gerne die gleiche Behandlung wünsche, die ich habe. Auch er will aus den gleichen Gründen keine intravenöse Behandlung und ebenso im Rahmen sind seine Werte vom Blutdruckmessen. Fertig – können wir jetzt endlich entspannen?

Nein. Es geht in den nächsten Raum. Unser Gepäck liegt im Übrigen noch immer im Scudo und unser Zimmer haben wir noch mit keinem Schritt betreten oder überhaupt gesehen. Eine Dusche wäre eigentlich auch mehr als fällig, bevor wir hier irgendetwas machen. Aber die Erkenntnis wird immer größer, dass wir ein sehr straffes Programm haben und die heiß ersehnte Dusche noch warten muss. Zum Leidwesen aller Beteiligten fürchte ich. Wir werden nun zum EKG gebeten. Das heißt: Oberkörper freimachen. Ein bisschen zögerlich, wie eine Zwiebel schäle ich mir jedes meiner drei Oberteile inklusive Skiunterwäsche vom Oberkörper. Unangenehmer könnte keine Situation sein. Dann lege ich mich auf die Liege und werde mit Saugnäpfen belegt, die jetzt irgendetwas an meinem Körper messen. Das Elektrokardiogramm wird auf einer schmalen Papierrolle aus einer Maschine gespuckt, während Tim sich für seine Messung vorbereitet, die ich fotografisch festhalten darf. Das erste (wenn auch schlechte) Foto ist im Handy. Ich zeige es der Frau, die mit ihrer Messung allmählich zum Ende kommt. Sie deutet mit ihrem Finger und einem stolz lächelnden Blick auf sich, als wundere es sie, dass ich sie mit auf die Fotografie genommen habe. Ihr zuliebe will ich noch ein zweites Foto schießen und sie positioniert sich noch einmal ganz geschäftig mit den Saugnäpfen in den Händen über Tims Oberkörper, obwohl die Messung längst vorbei ist. Auch das zweite Bild will sie sehen und ist erneut sichtlich stolz über den Anblick ihrer selbst in weißem Kittel und mit medizinischen Geräten in der Hand. Es ist zum Schmunzeln – aber… Können wir denn jetzt endlich entspannen?

Nein. Wir bekommen aber immerhin jetzt unser Zimmer gezeigt. Zimmer Nr. 209, zu finden in einem langen dunklen Korridor des West- oder Ostflügels? Ich habe die Orientierung verloren und jegliches Zeitgefühl. Im Zimmer setzen wir uns erst einmal auf die pompöse, altbackene Couch im Möchtegern-Barock-Stil. Das einzig sinnvolle Ziel an diesem Tag: die klobigen Wanderschuhe endlich ausziehen und duschen. Tim lässt mir den Vortritt – zu meinem Glück, denn während ich dusche, klopft es bereits an der Tür. Wir müssen herauskommen, zur nächsten Therapiesitzung. „Ich brauch‘ aber noch ein bisschen!“ rufe ich Tim zu, der nun versucht an der Tür ein wenig Zeit auszuhandeln. Fünf Minuten werden uns noch gewährt, in denen ich es gerade so schaffe, mir sämtlichen Schaum von Körper zu waschen und mich wieder anzuziehen.

Wir müssen uns sputen. Der junge Mann, der uns aus unserer Komfortzone wieder herausklopfte, führt uns nun ins Erdgeschoss zum Korridor des Westflügels. Schon beim Hinabsteigen der pompösen Cinderellatreppe, deren märchenhafte Zeiten längst Geschichte sind, steigt uns der klassische Geruch von Maschinenöl in die Nase. Auf Anweisung des jungen Mannes folgt Tim ihm in eine der weißen Türen, hinter denen sich das Spektakel abspielen wird. Ich stehe ratlos herum und warte nun darauf, dass etwas mit mir passiert. Lange muss ich nicht warten, zwei mütterliche, dralle Damen aus der „Abteilung Erdölbad für Damen“ holen mich herüber zum Korridor des Ostflügels. Jetzt verschwinde ich hinter der weißen Tür. Beginnt hier nun die langersehnte Entspannung?

Nein. Viel zu skurril ist die Situation und viel zu viel Maschinenöl-Geruch liegt in der Luft, als dass ich das Bevorstehende ernsthaft als Entspannung wahrnehmen könnte. In einem Vorraum, eine winzig kleine Umkleidekabine, muss ich mich entkleiden und in meiner vollkommenen Blöße an einer Dusche vorbei in einen komplett mit braunen und cremefarbenen Fliesen verzierten Raum eintreten. Mit dem Fußende an der linken Wand dieses Raumes steht eine alte Wanne, an deren Wänden das Restöl meiner Vorgängerin klebt. Eine der beiden mütterlichen Damen begleitet mich bei dieser Prozedur und lässt das neue Öl vor meinen Augen ein. Aus einem braunen Rohr bahnt sich das Öl laut röchelnd und pumpend seinen Weg in meine Wanne bis sie voll ist. Ich soll mich nun hineinsetzen in die dunkle warme Brühe, während die Dame mir die Hand zur Stütze reicht und sich anschließend auf ihren Stuhl neben mich an die Wanne setzt. So sitzen wir nun ein paar Minuten lang bei einem kurzen fast schon peinlichen Schweigen. Ich werde nicht aus den Augen gelassen, darf mich nicht bewegen und schon gar nicht mit dem Kopf untertauchen – ich will das auch gar nicht, aber rein interessehalber habe ich mal nachgefragt, ob das möglich wäre. So ist das Schweigen wenigstens auch gebrochen. Zehn Minuten dauert diese Sitzung und als die Zeit herum ist, soll ich ganz vorsichtig aufstehen und die Arme von mir strecken. Mit einem silbernen Schuhanzieher aus Metall, ja es war wirklich ein Schuhanzieher, streift die Dame mir das Öl vom Körper. Anschließend werde ich zur Dusche gebeten. Es gibt einen speziellen Schwamm und man muss sein eigenes Shampoo mitbringen. Es soll unbedingt Shampoo sein, keine Seife, denn diese säubere das Erdöl wohl nicht gut genug vom Körper. Aber auch mein russisches Shampoo scheint laut der Mitarbeiterin nicht gut genug zu sein, sodass ich am nächsten Tag deutsche Flüssigseife, die ich mal in Georgien in einem „German-Shop“ gekauft hatte, mitbringe und auf die freundliche Frage der Dame, ob ich ihr die Flüssigseife schenken würde, da lasse. (In der gesamten Kaukasusregion sind deutsche Produkte das Nonplusultra für die Menschen, wie wir oft festgestellt haben.) So. War das nun die langersehnte Entspannung?

Nein. Wir geben auf, suchen schon keine Entspannung mehr, sondern konzentrieren uns auf das, wofür dieses Sanatorium spezialisiert ist: auf Heilung. Am Nachmittag beginnt das Heilungsprogramm in Form einer Physiotherapie aus Zeiten der Sowjetunion – absolut gemäß ihrer Blütezeit. Es gibt Elektroschocktherapie, Lichttherapie (einfache Glühlampen in einer Holztrommel, die mit einem einfachen Lichtschalter angeknipst werden) und noch ein weiteres, undefinierbares Gerät, das – ebenso wie die anderen Therapien – die Durchblutung an den jeweils zu behandelnden Körperstellen anregen soll. Zudem darf ich mich noch einer Gesichtsbehandlung mit dem für Beauty- und Heilungszwecke bekannten Naftalan-Öl erfreuen, das allerdings nicht weniger nach Maschinenöl riecht als das Erdöl aus der Badewanne.

Am Ende des gesamten Programms schließen wir die Physiotherapie mit einer zehnminütigen Massage ab und lassen den Tag, nach einem ausgiebigen Spaziergang, auf unserem Zimmer bei einer Flasche Granatapfelwein und der russischen Free-TV-Version von Django – Unchained auf der Couch ausklingen. Die klobigen Wanderschuhe sind außer Sichtweite, die Füße auf dem Tisch und wir können endlich, ENDLICH entspannen. ;-)

Woher kommt das Baden im Erdöl eigentlich?

Die Geschichte des Naftalan-Erdölbads reicht bis ins 13. Jahrhundert, als Marco Polo das Erdölbad als Heilungszweck entdeckt haben soll. So hat er nicht nur sich, sondern auch seine Kamele darin gebadet, weil die Ansicht vertreten wurde und wird, dass das Öl sowohl beim Menschen als auch bei Tieren eine Vielzahl an Hautkrankheiten, aber auch beispielsweise rheumatische oder arthritische Gelenkbeschwerden lindere. Im Rahmen neuerer Forschungen mit Hinblick auf die EU-Bestimmungen wird das Baden im Erdöl allerdings als krebserregend eingestuft, da das Öl zu 50 % aus einem Hydrocarbon besteht – eine Substanz, die zur Herstellung von Mottengift verwendet wird.

Ein paar weitere Eindrücke unseres "Wellness"-Aufanthaltes:

Das Bett in unserem Zimmer.
Am Morgen des zweiten Tages pumpt uns die Ärztin durch einen kleinen Schlauch mit dem Mund Blut ab, um es auszuwerten.
Der Korridor, in dem sich die Räume für das Erdölbad befinden.


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