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Blicke in die Vergangenheit und in einen umstrittenen Garten – Armenien/Artsach

  • von Alicia
  • 01 März, 2019
Zugegeben: Ursprünglich wollten wir Armenien auf unserer Reiseroute auslassen, weil wir an irgendeiner Stelle mal gelesen hatten, dass man entweder nur durch Armenien oder nur durch Aserbaidschan fahren darf, wenn man von Georgien aus in den Iran möchte. Beide Länder seien nicht möglich zu bereisen, hieß es irgendwo. An dieser Idee haben wir festgehalten und uns für die Reise durch Aserbaidschan entschieden, bis wir Reisende getroffen haben, die uns berichteten, dass es durchaus möglich ist, beide Länder zu bereisen und dass Armenien unschlagbar schön sein soll. Kleiner Spoiler: das ist es in der Tat!!! Also gab es eine Planänderung. Bevor es weiterging, machten wir einen Abstecher nach Armenien (ist zudem mit dem eigenen Auto bis zu 30 Tage visumfrei für uns und somit unkompliziert).

Die Grenze von Georgien nach Armenien passieren wir problemlos. Auf der M6 fahren wir weiter in dieses klitzekleine Land. Uns begrüßen holprige, schlechte Straßen, viele Berggipfel und eine dichte Wolkendecke. Armenien liegt im Durchschnitt 1800 Meter über dem Meeresspiegel. Diese graue, wolkenverhangene Landschaft ist faszinierend und düster zugleich.
Das Erste, das wir uns anschauen, ist eines von erstaunlich vielen Klöstern, die zu diesem Land gehören. Wie immer steckt dahinter auch eine Geschichte. Eine uralte Geschichte. Die ersten Klöster wurden hier bereits im Jahr 300 erbaut. Ungefähr zeitgleich wurde in diesem kleinen Land das Christentum weltweit zum ersten Mal als Staatsreligion eingeführt. Die vielen Klöster tragen zu dieser Geschichte bei und das sieht man auch. Während wir im Sanahin-Kloster eine kleine Besichtigungsrunde einlegen, fühlen wir uns wie ins Mittelalter zurückversetzt. Alles ist erstaunlich alt, manches restauriert, aber möglichst originalgetreu. Selten sieht man in den kalten, grauen Gebäuden kitschige, prunkvolle Abbilder von Angebeteten, wie wir das etwa in Georgien oder Russland erlebt haben.
Am riesengroßen Sewansee vorbei geht es für uns weiter nach Jermuk, in einen alten, postsowjetischen Kurort mit Bergquellen, die das ganze Land mit dem dort bekannten Jermuk-Mineralwasser versorgen. Mineralien befinden sich auch in der heißen Quelle von Jermuk, in der wir uns ein lauwarmes Bad gönnen, bevor wir weiter durch dieses kleine, ruhige Städtchen spazieren, das uns ein wenig an den Ort Bad Gastein in Österreich erinnert. Hier werden wir auch zum ersten Mal zum Jumbo-Schaschlik eingeladen, das nicht ansatzweise mit den Minispießen in Deutschland vergleichbar ist, aber auch nicht minder köstlich ist.

Die Temperaturen während unseres ersten Besuchs in Armenien im November (im Februar würden wir noch einmal durchfahren, weil wir nicht über Aserbaidschan in den Iran kommen) sinken allmählich. Unsere Standheizung wird immer mehr zu unserem persönlichen Hauptprotagonisten in diesem hohen Land, aber insgesamt drei Mal suchen wir in der Hauptstadt Jerewan auch ein billiges Hostel auf, um mal warm zu duschen und die Wäsche zu waschen.

Überall in der Stadt wimmelt es in der Vorweihnachtszeit von kitschigen, bunten Weihnachtslichtern und zum Verkauf stehenden Plastiktannenbäumen. Wir decken uns mit etwas Weihnachtsschmuck für Scudo ein, bevor es weiter geht nach Khndzoresk. Auf dem Weg dorthin werden wir in eine dicke Nebeldecke gehüllt. Scudo kämpft sich durch sie hindurch und findet schließlich den Weg über eine getrocknete Schlammpiste zu einer Hängebrücke, die wir besichtigen wollen. Die Hängebrücke soll aus irgendeinem Grund eine Attraktion darstellen. Viel sehen wir aufgrund des Nebels nicht, laufen dennoch ein bisschen auf dem rostigen Gitterboden herum, um an diesem grauen Tag zumindest etwas zu erleben. Einige Tage später treffen wir in einem Hostel in Jerewan auf einen deutschen Mittelalterforscher. Wir smalltalken etwas und er gibt uns einige weitere Besichtigungstipps, u.a., dass in Khndzoresk nicht die Hängebrücke die eigentliche Attraktion des Ortes ist, sondern die vielen Höhlenbehausungen, die teilweise noch bis in die 80er Jahre von Menschen bewohnt waren, bevor sie dort vertrieben wurden. Armenien ist klein, also fahren wir noch einmal hin – bei besserem Wetter. Tatsächlich erwarten uns unzählige Höhlen in einer unvergleichlichen Bergkulisse. Auch das Kloster darf in diesem Höhlendorf nicht fehlen. Erstaunlich, wie der Nebel diesen faszinierenden Ort vor uns verbergen konnte.

Bei einem unserer weiteren Besuche in Jerewan schlendern wir durch die Stadt und treffen schließlich auf eine Kaskade. Viele Stufen später erreichen wir die Aussichtsplattform, von der man einen umfassenden Blick auf die gesamte Stadt sowie auf den Ararat hat. Normalerweise! Für uns ist der Ararat, ein in der Türkei liegender Vulkan (5137 m), dessen Geschichte besagt, dass die Arche Noah auf ihm gestrandet sein soll, leider wegen des diesigen Wetters aus keiner Perspektive der Stadt sichtbar. Zumindest lässt der leichte durchschimmernde Umriss erahnen, wie imposant und riesig dieser Berg sein muss. In Jerewan holen wir außerdem unser Visum für die Region Bergkarabach bzw. Artsach ab.

6,00 € kostet uns das Visum pro Person. Als wir an der Grenze zum sogenannten Schwarzen Garten ankommen, schenkt uns ein Grenzbeamter drei Früchte. Äußerst freundlich wie wir finden und so verlaufen auch alle neun Tage, die wir in Artsach verbringen. Das Wetter scheint auf uns zwar sauer zu sein, aber wir machen das Beste aus unserem Trip durch diese Konfliktregion, die sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan umworben wird – gelinde gesagt. Armenien hat den Krieg um Bergkarabach/Artsach zuletzt gewonnen. Immer wieder gibt es jedoch kleinere, gegenseitige Anschläge, bei denen Menschen nach wie vor ums Leben kommen. Solche Geschichten hören wir in einer Bar in Stepanakert, der Hauptstadt von Artsach. Azad, der Besitzer der Kneipe, trägt stolz sein T-Shirt mit der englischen Aufschrift seines Landes: Artsakh. Hier ist man stolz auf seine Region, auf sein Land. Man hat es sich erkämpft. Dennoch beteuern Azad und sein Freund, der beim Militär arbeitet, dass die Menschen in Bergkarabach des Krieges müde sind. Vor allem die jungen Menschen. An den Wänden der Bar hängen internationale Andenken anderer Reisender, die sich hier her verirrt haben sowie mehrere Bilder von Eric Clapton mit der Aufschrift „Eric Clapton is God!“

Diese ranzige, alternative Bar gefällt uns auf Anhieb. Nicht wir haben sie gefunden, sondern sie uns. Azad und seine Freund haben unser kleines Camp am Straßenrand zufällig gefunden und uns auf ein paar Bier eingeladen. Auf dem Herd im Scudo kochte gerade heißer Kakao für uns, den wir uns ganz im Sinne der Vorweihnachtszeit zu einem Lumumba anreichern wollten. „Können wir auch morgen trinken“, meint Tim und so folgen wir den Jungs ins „Bardak“, wie die Bar heißt.

Unter den vielen Augen Eric Claptons sitzen wir also und unterhalten uns über Gott und die Welt. Azad ist begeisterter Kletterer und kennt alle sehenswerten Spots in Artsach. Er zeigt uns einige Punkte auf der Karte, die wir unbedingt besuchen sollten – u.a. eine heiße Quelle und eine kleine Wandertour durch eine Schlucht, über deren Abgründen sich zwei Ethnien einst befeuert haben. Am anderen Tisch sitzen auch einige andere Gäste. Die Gruppe von Mädels, die soeben noch zu Coco Jambo getanzt hat, verlässt gerade die Bar und keine Stunde später öffnet sich die Tür erneut. Zwei Italiener, Vater und Sohn, ein Amerikaner aus New York, eine Tunesierin und eine Armenierin kommen herein. Die Italiener haben hier in Artsach eine Textilfirma gegründet, alle anderen arbeiten beim Roten Kreuz der Schweiz als Entwicklungshelfer für diese Konfliktregion. Wir erfahren in dieser Nacht allerhand über die Arbeit in der Entwicklungshilfe; über die diplomatische Arbeit zwischen zwei Parteien, die sich nicht einig werden können und die psychotherapeutische Arbeit für Familien und Menschen, die einen großen Verlust oder traumatisierende Zustände verkraften mussten.

Dieser Abend im Bardak hat einen kleinen Zauber inne mit interessanten Gesprächen und eindrucksvollen Geschichten. Einige Drinks später geht jeder wieder seinen Weg. Diese kleine Gruppe von Menschen löst sich auf. Auch wir gehen „nach Hause“, auf den Innenhof der Bar, wo wir stehen dürfen.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf, all die Spots zu besuchen, die man im Internet nicht findet, sondern die wir von Azad empfohlen bekommen haben. Zuvor waren wir drauf und dran, Artsach früher zu verlassen als geplant, weil wir dachten, hier gäbe es nichts zu sehen. Dank Azad wissen wir, dass dieser "Schwarze Garten" ein Garten Eden ist, in dem auch das Wetter irgendwann nicht anders kann, als sich wieder mit uns zu vertragen.

Auf offiziellen Weltkarten ist Bergkarabach bzw. Artsach übrigens nicht als armenischer Landesteil gekennzeichnet. Die Region ist immer auf aserbaidschanischer Seite zu finden, da die einst autonome Region von keinem einzigen Land der Welt anerkannt wird. War man einmal in Artsach, wird man überdies niemals mehr nach Aserbaidschan einreisen dürfen, solange der Konflikt anhält oder die Regeln sich nicht ändern. Wenn man es jedoch geschickt anstellt, kann man dieses Verbot umgehen, indem man sich z.B. das Artsach’sche Visum in Jerewan nicht in den Pass kleben lässt. Dort ist man sehr entgegenkommend…

Weitere Eindrücke aus Armenien und Artsach/Bergkarabach:


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