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10 Dinge, die den Iran besonders machen

  • von Alicia
  • 11 Sept., 2019

Als wir an der Grenze zwischen Armenien und dem Iran stehen, wissen wir selbst nicht wirklich im Geringsten, was uns erwartet. Unser Wissen aus dem Reiseführer und aus anderen Reiseberichten ist gespickt mit ein paar Klischees und Informationen aus den uns bekannten Medien. Damit sollten wir gewappnet genug sein, um uns die nächsten zwei bis drei Monate in dem Land aufzuhalten, das uns in seiner für uns andersartigen Mentalität, in seiner islamisch- und ideologisch-fundamentalistischen Regierung und sowieso in seiner uns unbekannten Kultur fremder nicht sein könnte.

Drei Monate liegen mittlerweile zwischen diesem und dem nächsten Grenzübertritt. Die Zeit im Iran ist verflogen wie die Klischees, mit denen wir eingereist sind. Ersetzt wurden diese Wissenslücken mit neuen Erkenntnissen, mit einem neuen Verständnis diesem Land gegenüber: Die Iraner, die Menschen an sich, sind ganz klar von dem Ruf ihres Landes, das zum Teil durch unsere Medien transportiert wird, aber auch durch sein strenges, fundamentalistisches Regime herbeigeführt wird, zu trennen.

Das iranische Volk ist sympathisch, herzallerliebst, hilfsbereit und tanzt ungeniert seinen überflüssigen Höflichkeitstango. Aber, es wird täglich durch staatliche Repressionen unterdrückt, ist dadurch frustriert, bedrückt, sucht Ventile für ein kleines bisschen Freiheit und findet sie, so scheint es uns, im Gespräch mit Ausländern, ja mit Touristen wie uns. Im Gegenzug erhalten wir „a good memory“, eine gute Erinnerung an den Iran. Das ist den Iranern wichtig. In nahezu jedem dritten oder vierten Gespräch fällt die Bitte an uns, mit einem guten Gefühl nach Hause zu fahren und der Familie und Freunden zu erzählen, dass der Iran ein liebenswürdiges Land ist. Und das ist es in der Tat.

Neben der herzerwärmenden Gastfreundschaft, die man im Iran erlebt, haben wir weitere Fakten zusammengefasst, die für uns manchmal seltsam, meistens neu, aber in jedem Fall ganz besonders erscheinen. Unsere zehn besonderen Fakten, die wir über den Iran kennenlernten, haben wir mit kleinen, manchmal persönlichen Anekdoten aufgelistet:

1. Die Iraner laden herzlich gern zum Essen zu sich nach Hause ein.

Wir können die Einladungen gar nicht zählen, die wir erhalten haben. Sei es zum Picknick oder in die eigenen vier Wände: Wir waren so unglaublich herzlich willkommen, dass wir, wenn wir jede einzelne Einladung angenommen hätten, wohl noch in einem Jahr nicht aus dem Land hätten ausreisen können. Ganz besonders in Erinnerung bleibt uns das Abendessen bei unserer Freundin Solmaz und ihrer Familie, mit der wir das persische Neujahr 1398 feierten, verbotene gesellschafts- und regierungskritische Politsatiren im Fernsehen schauten und eine spontane Übernachtung bei ihren Eltern nicht ausschlagen konnten. Eine schöne Erinnerung ist auch der Besuch bei unserem Freund Omid gewesen.

2. Das Picknicken ist eine Volksleidenschaft.

Der Freitag ist der deutsche Sonntag. Familienausflüge sind an der Tagesordnung. Fährt man freitags durch die weitläufige Natur im Iran, so sieht man überall Familien unmittelbar neben ihren Autos auf den Decken sitzen, Kebab grillen, Tee trinken oder entspannen. In Stadtnähe gibt es immer öffentliche Parks, in denen man seine Mittagspause auf der Picknickdecke verbringt. Oft gibt es auch speziell erbaute kleine überdachte Plattformen in der Größe einer Picknickdecke, auf der eine ganze Familie Platz findet. Wir lieben es zu sehen, dass die Iraner das Leben so zu genießen wissen und haben selber unsere Campingstühle und den Campingtisch vorerst gegen unsere Decke und neue "Picknicksitze" eingetauscht.

3. Tarof – Diese schwierig einzuschätzende Höflichkeitssitte.

Viele Iraner mögen das genauso wenig wie wir: Tarof. Diese allgegenwärtige, rituelle Form der iranischen Höflichkeit ist nett gemeint, in unseren Augen aber ein wenig übertrieben. Ein Beispiel: Wir kaufen ein paar Früchte und wollen bezahlen. Als Tim nach dem Preis fragt, sagt der Verkäufer, es koste nichts. Da wir inzwischen wissen, dass das Tarof sein muss, lehnt Tim dieses Geschenk ab und fragt noch einmal nach dem Preis. Bei dieser zweiten Anfrage nach dem Preis verrät uns der Verkäufer die Summe schließlich und wir bezahlen. Ähnliches haben wir auch nach einem Besuch in einem Imbisslokal erlebt, als Tim nach dem Essen den 500.000 Rial-Schein überreicht. Der Ladenbesitzer nimmt diesen mit einer Geste des „Das kann ich aber nicht annehmen“ entgegen und will Tim den Schein zurückgeben. Tim lehnt ab, der Ladenbesitzer bedankt sich und steckt das Geld schließlich ein. Man hat uns auch schon auf eine Fährfahrt oder zu sich nach Hause einladen „wollen“, was wir jedoch in beiden Fällen (wir spielen das Spiel ja inzwischen mit) einmal dankend abgelehnt haben. Ein zweites Angebot gab es in diesen Fällen nicht und so wissen wir, dass es Tarof war. Eine echte Einladung erkennt man daran, dass die einladende Person mehrfach, manchmal auch mit Nachdruck auffordert, die Einladung oder das Geschenk anzunehmen - wenn du drei bis fünf Mal dankend abgelehnt hast, weißt du, dass du es annehmen kannst. Oder wenn der Obstverkäufer beispielsweise unser Geld drei bis fünf Mal ablehnt, dann wissen wir, dass er uns das Obst wirklich schenken will. Man sollte also immer etwas Zeit und Geduld mitbringen in solchen Fällen, denn auch wenn man jemandem nur den Vortritt lassen will, sobald es durch eine Tür geht, kann dies schonmal eine Minute in Anspruch nehmen, bis einer endlich hindurchgeht.

4. Wir können keinen Diesel tanken im Iran.

Diesel steht im Iran nur Lastkraftwagen zur Verfügung. Jeder LKW-Fahrer besitzt eine entsprechende Dieselkarte, die er in die Zapfsäule steckt und somit anschließend seinen Kraftstoff erhält. Mit anderen Mitteln kommt kein Diesel aus dem Zapfhahn. PKW fahren ausschließlich auf Benzin, so steht es für PKW-Fahrer außer Frage, wie sie ihren Kraftstoff erhalten. Und wir? Ja, unser Scudo trinkt nur Diesel, wir haben keine Dieselkarte und müssen demnach jedes Mal darauf hoffen, dass an der Tankstelle zufällig ein LKW steht, dessen Fahrer willig ist, uns seine Karte zu borgen und ein paar Liter Diesel zu verkaufen. Das klappt tatsächlich immer sehr gut. Die Iraner sind ja überaus hilfsbereit. Hin und wieder bekommen wir sogar Diesel geschenkt, manchmal zahlen wir einen höheren "Touristen-Preis“. Der höchste Preis, den wir allerdings je gezahlt haben, lag bei 8,00 € für 60 Liter Diesel. Mit anderen Worten: 0,13 €/Liter. Iraner zahlen sogar nur 0,02 €/Liter.

5. Hinter verschlossenen Türen wird wild gefeiert und Alkohol getrunken.

Nichts Ungewöhnliches? Im Iran schon. Der Konsum von Alkohol steht im Land unter strenger Strafe. So droht dem Gesetzesbrecher hier eine hohe Geldstrafe oder gar Peitschenhiebe. Ungeachtet dieser Strafe wissen die Menschen im Iran sich dennoch zu helfen, wenn sie feiern möchten – und das nicht zu kurz. Wie sehr die Strafen in Wirklichkeit ernst zu nehmen sind, bleibt dahin gestellt, jedenfalls sorgen die gut verhüllten Wohnungen hinter ihren hohen Mauern dafür, dass niemand weiß, wer dahinter seinen Alkohol brennt oder auf einer Party im Miniröckchen tanzt (auch Letzteres ist ein Verhalten gegen das Gesetz der Regierung). Und so konnten auch wir ausgelassen ins neue iranische Jahr 1398 feiern, als man uns spontan zu einer Hausparty einlud und mit irgendetwas Selbstgebranntem in kleinen Pappbechern, das man Wein nannte, in feierlichen Empfang nahm.

6. 80 % aller autofahrenden IranerInnen fahren einen Peugeot, einen Saipa, einen Peykan oder einen Toyota und der Großteil aller Autos ist weiß.

Besuchst du jemals den Iran, wird es nicht an dir vorbeigehen: das einseitige Verkehrsbild. Vor allem, weil die meisten Autos weiß sind. Der Rest der Verkehrsteilnehmer besteht ausschließlich aus Motorradfahrern. Kein seltenes Bild dabei ist die vierköpfige Familie mitsamt des Familiensäuglings auf einem (!) Moped ohne Helm. Der Verkehr ist der chaotischste seit Beginn unserer Reise. Wir haben den Eindruck, die Regel lautet: Fahr‘ wie du willst, aber hupe manchmal, damit man hört, dass du dich irgendwo auf der Straße aufhältst.

7. Frauen dürfen nicht Motorrad fahren.

Grundsätzlich bleibt Frauen per Gesetz im Iran vieles verwehrt. Mit der Zwangsverschleierung bleibt ihnen beispielsweise nicht nur die Selbstbestimmung über ihre Kleidung und körperliche Freiheit verwehrt, auch das Motorradfahren ist nicht gestattet. So sieht man durchaus schonmal den 13-jährigen Bruder seine wesentlich ältere Schwester durch die Gegend chauffieren.

8. Im Iran herrscht eine völlig andere Zeit.

Mit unserer Reise in den Iran haben wir, wenn man so will, eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit unternommen. Die persische Zeitrechnung ist eine völlig andere. Das Verfallsdatum auf Lebensmittelverpackungen, der Stempel in unserem Reisepass und selbst die automatische Zeitangabe von Google führt uns immer wieder vor Augen, dass wir uns im Jahr 1398 befinden. Die persische Kalenderrechnung ist ein Sonnenkalender und beruht auf dem Planetenumlauf unserer Erde um die Sonne. Mit dem Frühlingsbeginn beginnt im Iran das neue Jahr. Diese Zeit nennt sich Nouruz und wird mit einem gebührenden Jahreswechsel zelebriert, dem auch wir erfreulicherweise spontan beiwohnen durften.

9. Das Finanzsystem wird von einer Inflation beherrscht.

Etliche Sanktionen u.a. seitens der USA auf den Iran haben eine immens steigende Inflation zur Folge, die jeden Bürger unmittelbar nach einem durchschnittlichen Supermarkteinkauf um Millionen ärmer macht. Wir selbst schleppen die gesamten drei Monate, die wir im Iran sind, unzählige Geldscheine mit uns herum, weil es Touristen nicht möglich ist, mit einer Geldkarte an den Bankautomaten oder in der Bank Geld abzuheben. Alle sind Millionäre und keiner will es sein. Es ist ein Herumrechnen der Banknoten, sodass das Volk seine eigene Währung etabliert hat: Anstatt in Rial zu bezahlen, wird eine Null des Betrages gekürzt und die Währung wird dann Toman genannt – so wie es vor der Zeit des Rials tatsächlich war. Eine psychologische Wirkung hat das Streichen der Null hinsichtlich der starken Inflation vielleicht, für uns macht es das Bezahlen zu Beginn aber umso komplizierter. Ein Beispiel: Der Eisverkäufer deutet mit zwei Fingern an, was er für ein Eis haben will. Also 2.000 Toman, aber eigentlich 20.000 Rial. Toman als haptische Währung existiert ja eigentlich nicht. Wir fummeln unsere unzähligen Rial-Scheine zusammen, haben erst 2.000 Rial in der Hand, müssen aber umdenken und 20.000 Rial überreichen. Irgendwann hat man den Dreh heraus, dennoch haben wir noch oft nachfragen müssen, ob der Verkäufer auch wirklich Toman meint oder nicht vielleicht doch Rial.

10. Die Internetnutzung ist extrem eingeschränkt.

Wir wissen inzwischen, dass das Leben im Iran sehr eingeschränkt ist. Von Freiheit, wie wir sie kennen, weit entfernt. So ist auch die Internetnutzung, diverse Internetseiten (so auch unser Blog) im Iran gesperrt. Um unseren Blog auf Stand zu halten und euch weiterhin mit Infos zu versorgen, haben wir uns für die Option entschieden, VPN zu nutzen. Mit dem VPN surfst du anonym durch das Internet mit IP-Adressen aus anderen Ländern, die dir alle Freiheiten des Internetzugangs ermöglichen. So können wir alle Infos auf unserer Seite, wenn auch nur über das Handy und nicht über den Laptop, updaten. Die Nutzung von Facebook ist z.B. auch strengstens verboten, Instagram jedoch ist erlaubt. Nahezu jeder Iraner und jede Iranerin, den/die wir treffen, nutzt dieses einzige zur freien Verfügung stehende soziale Medium sehr aktiv.

Weitere Besonderheiten in Bildern:

Im Süden Irans begegnen uns viele Dromedare.
So gastfreundlich! Selbst diesen Restaurantbesuch haben wir geschenkt bekommen. Es gab Kebab vom Grill und Malzbier aus Dosen.
Überall gibt es Outdoor-Sportanlagen. An jeder Gelegenheit halten wir (meistens) und nutzen die Geräte für ein Mini-Workout.
Einige Frauen tragen ein schwarzes, langes Tschador. Hier werden wir gerade mit neugierigen Fragen gelöchert.
Ein typischer Familienausflug :-)
Ohne geht nichts. Datteln und schwarzer, gezuckerter Tee ist der Nationalsnack.
Sehr geschichtsträchtig: die altpersische Residenzstadt Persepolis. Kaum ein Iraner hat diese Stadt nicht besucht - Urlaub wird im Land subventioniert.
Keine Seltenheit im Iran. Unsere Heimat ist allgegenwärtig.
Sahneeis mit Karottensaft ist der Renner im Land. Probier's doch mal!
Fliegende Teppiche gibt es gar nicht! ;-)


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